Herbst

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  • Beitrag veröffentlicht:25. September 2022
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Die Störche sind längst auf dem Weg nach Süden, die Kraniche folgen jetzt. Die Frösche haben sich zurückgezogen, die Rohrdrommel liegt flach. Der Sommer ist vorüber, die Gäste sind weg, ich bin mit Marlon im heranrückenden Herbst allein. Die Apfelbäume und der Holunder  ächzen unter ihrer Fruchtlast. Die Tage sind merklich kürzer, der Kachelofen liefert Grundwärme. Statt Riesling gibt es jetzt Cabernet Sauvignon.

Herbst. Mir wird es ein wenig schwer ums Herz, so viele tolle Erfahrungen, so ein pralles Leben hier im Sommer, und nun wird alles langsamer, schärfer und deutlicher. Auch meine Anwesenheit, die immer ersehnte Freiheit muss gelernt werden. Es ist so einfach in der Fremdbestimmung, im Auftrag des Funktionierens zu leben, wie schwer, Freiheit zu fühlen und zu geniessen. Der Weg. So viele Jahre in der Dualität von Job und Freizeit, so viele Sehnsüchte nach Autarkie und analoger Banalität. Jetzt ist alles da und vor lauter Möglichkeiten schon im Moment des Auftretens inflationär ungeniessbar. Wie schön wäre es, neben dem Kachelofen einen weitern Ofen anzufeuern, ins Feuer zu schauen und sich vor Glückseligseligkeit eine Demutsträne zu gönnen, ein Buch zu nehmen, ein Glas Wein, zurückzublicken auf ein volles, langes Leben, auf die Katharsis hier, die verständnisvoll und geduldig scheint. Das muss in Zustimmung und Gelassenheit gelernt werden. Es ist so einfach allein zu sein, wenn der liebe Mensch im nächsten Zimmer hockt. So einfach, auf immer wieder das zurückgreifen zu können, was lange selbstverständlich war. Alles ist jetzt anders, spannend und fremd. Die Ruhe wird gegenwärtiger, die Trauer um die weichende pralle Vegetation, das verschwenderische Kommen und Gehen der üppigen Wiesen und Felder. Es wird farbig und scheint eine Verbeugung vor Wärme und Sommer, die Blätter erröten aus Dankbarkeit und wissen um ihre nächste Aufführung.

Wie einfach wäre es, den lange geübten Herbst-Frust „zuhause“ zu ertragen, der, trotz seiner Widerwärtigkeit, manchmal weniger schwer erscheint als die Melancholie und Ruhe hier. Es ist alles so wunderbar klar hier, so einfach und verschliesst sich manchmal meiner Einlassung. Die Bar ist renoviert und ein Refugium, als das sie sich sich dezent anbietet. Die Klampfen stehen unbenutzt mit der Patina des Ungebrauchten. Allein die Spaziergänge liefern Unerhörtes in 4D. Wie einfach wäre es,  einfach in Alldem, der voller Selbsbewußtsein strotzenden Natur den Schlüssel zur Glückseligkeit zu sehen? Die Stille schreit nach Wahrnehmung. Lange ein Leben gelebt voller Sehnsüchte und Optionen, aus der Sicherheit des Geborgenseins. Der kleine Hävelmann. Nun ist alles präsent und ich will zurück in Mama´s Bauch wo alles so friedlich und übersichtlich, behütet war. Ein wahrer Held des Alltags fühlt anders.

Aber, ich habe die Kurve gekriegt ( ein paar Tage sind vergangen ), geniesse nun endlich die Fülle im Nichts. Die unglaubliche Besinnung, fern vom Erprobtem und Etablierten. Ich geniesse nun die Eisamkeit, ein paar warme Telefonate. Wenig Feedback von den Menschen in der alten Heimat stimmt traurig, aber es ist wie es ist und erleichtert die Trennung. Ein paar treue Freunde. Und endlich die Gelassenheit des unkommentierten, zugelssenen Geniessens. Was ein Reichtum. Ich freue mich auf die dunklen Tage, den Winter, die Notwendigkeit mit dem Landcruiser Alltägliches zu bewältigen, mit Allrad und Untersetzung den Widrigkeiten zu trotzen. Und ich freue mich auf den Frühling, wenn wieder alles explodiert und sich anbiedert, dem zurückgekehrten Federvieh eine Heimat zu bieten. Ich freue mich über Alles.

Ich pflücke jetzt hier aus dem schieren Überfluß alter Sorten eine Unzahl von Äpfeln, backe Kuchen. Ein wahrer Held macht Anderes. Das Fallobst bekommen die Schweine von den Schlegels, vielleicht bekommen wir ein Kotelett. Die Tomaten sind zu Sosse verarbeitet, die Walnüsse brauchen noch ein wenig.

Nun, Steffi ist nach langer Covid Rekonvaleszenz wieder in Essen, Rita und Stefan abgereist. Äpfel werden geerntet, Fleisch von Schlegels eingetütet, das Holzhaus innen aufgehübscht, unser Haus winterfest gemacht, eine Öko-Scheißgrube installiert. Tonnen von Schrottholz werden mich über den Winter bringen, vielleicht kann ich die Kohlen dann im nächsten Jahr gewinnbringend verscherbeln.

Im November werde ich wieder nach Essen kommen, ein paar liebe Menschen besuchen, vielleicht ein paar Zlotys einfahren. Eine Coloskopie machen lassen, den Passat ( 305.000 km ) checken lassen bei meinem lieben Herrn Liedtke. Und dann freue ich mich, mit Steffi hier einen fulminanten Jahreswechsel zu haben, dann dem aufkeimenden Frühling zu harren und am 1. Mai feststellen, dass ich schon ein Jahr hier bin. Und wenn alles gut läuft und Stanislaw das Dach erneuert hat können wir die ersten ( zahlenden! ) Gäste begrüßen. Und dann gibt es ein Fest. Mit Kartoffelsalat und einem kalten Kotelett.

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